Ein Beispiel, das viele kennen, ist Stress: Wir laufen auf Hochtouren, irgendwann erfolgt eine Bremsung, manchmal auch eine Vollbremsung in Form einer Erkrankung. Das ist ein Signal dafür, dass es so nicht weitergeht, das Pendel muss in die andere Richtung gelenkt werden.
Genauso verhält es sich mit dem miteinander Leben. Es ist schön, nah zu sein – und dann auch wieder loszulassen. Wenn es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, wann das Pendel von der einen auf die andere Seite schwingen soll, entsteht zum Beispiel Reibung oder Einsamkeit und damit ein Ungleichgewicht. Es ist wohltuend, gemeinsam etwas Schönes zu tun, vielleicht sogar etwas Ungewohntes. Fokussiert in eine Richtung, gefolgt von allgemeinem Geplauder oder Für-sich-sein. Ein- und Ausatmen. Darin sehe ich eine Aufgabe der gruppentherapeutischen Arbeit.
Alle Teile unseres Seins – Leib, Seele, Geist – stehen in einem ständigen Austausch. Immer befinden wir uns in einem Tanz mit uns selber, um sie im Gleichgewicht zu halten. In meiner Arbeit als Gesangstherapeutin bemühe ich mich, Impulse zu geben, damit die Bewohner diese Balance bewahren oder wieder gewinnen können, wenn das Pendel mal zu stark in eine Richtung ausschlägt. Eigentlich leiste ich Erinnerungsarbeit. Erinnerung daran, dass wir ein harmonisch schwingendes Wesen sind, immer in Beziehung zu uns selber und unserer Umwelt.
Dies kann natürlich nur dann gelingen, wenn mein Gegenüber den Wunsch verspürt, sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Auch Vertrauen in sich selbst, in mich als Begleiterin und in die Musik als Impulsgeberin ist dafür nötig. So werde ich als Therapeutin hier im Tobias-Haus immer wieder beschenkt, weil ich erleben darf, wie sich das Pendel durch die Musik in eine neue Richtung bewegt: Wenn der Schmerz nachlässt und ein Lächeln entsteht, wenn ich Blickkontakt mit einem tief in sich gekehrten Bewohner habe oder in zufriedene Gesichter schaue, weil wir gerade ein neues Lied gelernt haben.